#Digisophie | Nr. 4
»Geil, es hat einen Touchscreen«
Ganz sicher bin ich keiner von denen, die grundsätzlich »dagegen« sind. Im Gegenteil: Technik ohne Touchscreen wäre heute – da sind wir uns einig – fast schon unmöglich. Und so sind Smartphones, Laptops, Autoradios und selbst Küchengeräte mit berührungssensitiven Geräteoberflächen inzwischen aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Ein Berühren, Wischen und Streiche(l)n glatter Geräteoberflächen ist inzwischen Normalität. Der Touchscreen: gewissermaßen ein Erkennungszeichen moderner, zeitgemäßer Hardware. Wenn Technik schon keine Sprachsteuerung – als letzte Evolutionsstufe der Benutzer-Interaktion – besitzt, dann ist topaktuell, was zumindest »betoucht« und »gestreichelt« werden kann. »Drück mich!«, lautet die Devise. Während die Menschen-zu-Mensch Kommunikation – über Social-Media, Messaging-Dienste oder E-Mail – zunehmend berührungsfrei-aseptisch wird, nimmt die Mensch-Maschine-Interaktion gewissermaßen die Gegenrichtung.
Doch ist eine derartige Touch-Affinität ein Nachteil? Einmal verstanden, ist die digitale Menüführung großartig; meist: eine gelungene User-Experience. Man stelle sich als Alternative exemplarisch vor, sämtliche Touchscreen-Bedienelemente eines modernen, multifunktionalen und auswahlsensitiv-reagierenden Backofens sollten durch Knöpfe, Schalter und ein klassisches LCD-Display bereitgestellt werden. Unmöglich! Auf Entwicklerseite dürften sich gigantische Herausforderungen auftun, wollte man auch nur einen halbwegs gleichwertigen Funktionsumfang mit halbwegs gelungener User-Experience bieten.
Doch allen Vorzügen zum Trotz: Die Alleskönner-Touch-Oberflächen haben in puncto Bedienkonzept ein großes Manko. Bedienung und Orientierung ermöglichen sie – trotz teilweisen haptischen Feedbacks – nur dem, der hinschaut. Die Bedienung eines Touchscreens erfolgt nicht, wie es der Wortstamm vermuten lassen könnte, durch beiläufiges Touchieren. Stattdessen benötigen Touch-Gesten visuelle Aufmerksamkeit, Präzision und Eindeutigkeit. Touchscreens sind empfindlich, genauer: berührungs-empfindlich. Nicht mehr die sogenannte Blindbedienbarkeit ist gegeben, sondern eine vergleichsweise aufwändige Hand-Auge-Koordination gefordert.
Eine möglichst einfache Bedienbarkeit – bei der sich Nutzer nicht in Untermenüs verlieren – verlangt allerdings großen Aufwand in Entwicklung und Design. Ausgangspunkt der entsprechenden Überlegungen: die Schritte des Nutzers zu seinem Ziel – die User-Journey. Dabei wird in Entwicklung und Design ein bestimmter Nutzer-Typ fokussiert: der unbedarfte Bediener. Komfortabel ans Ziel gelangt nicht der Erfahrene – möglichst schnell und effektiv –, sondern der Neuling, möglichst leicht und »idiotensicher«. Der Touchscreen ist gewissermaßen ein Paradebeispiel für die in digitalen Zeiten übliche Orientierung am Novizen: Eintrittsbarrieren für Anwendungen und Technologien werden gesenkt; massenkompatible Standardisierung sorgt für Niederschwelligkeit. Im Gegenzug sehen sich die Experten unter den Nutzern »ausgebremst«: aufgehalten und eingeschränkt. Zu kleinschrittig – eben: idiotensicher – ist das Bedienkonzept. Individuelle Kompetenz im Umgang mit der jeweiligen Technologie nutzt bei einem Touchscreen wenig, im Gegenteil: Der Vorteil liegt beim Neuling. Wer sich möglichst einfältig gibt, auf Nachdenken verzichtet, wird – durchdachte Nutzerführung vorausgesetzt –vom Touchscreen bestmöglich unterstützt. Im Ergebnis heißt das: Expertise, Know-How und Kompetenz hinsichtlich der Funktionsweise eines Geräts – was im weitesten Sinne hieße: zu lernen – wird obsolet.
»Geil, es hat einen Touchscreen« – mag mancher sagen. In den Ohren manches Experten: ein Signal für die Absage an Sachkenntnis. Es ist wie bei vielen unserer Digitalisierungsbemühungen: Im Angesicht unserer hochauflösenden Bedienoberflächen ersticken wir in Details, statt uns auf das eigentlich für uns Wesentliche zu fokussieren. Wir irren – aus Entwickler- wie aus Nutzer-Perspektive – in spielerischen Gadget-Funktionen umher, statt auf Weiterentwicklung, Lernen und Kompetenzerwerb zu setzen. Ursächliche Fehlannahme: Der Touchscreen macht alle Nutzer ebenbürtig kompetent. Tatsächlich sind wir für einen Touchscreen: alle gleichermaßen inkompetent. Was indes völlig gleichgültig ist, denn – und hier ist der Touchscreen quasi Ausdruck der typischen Erwartung unserer Zeit: Alles ist erreichbar – für jeden. Hauptsache: Es wird berührt. Schlussendlich nimmt der Touchscreen dann aber zumindest eine in digitalen Zeiten weit verbreitete Sorge allemal: Jeder hinterlässt – aller digitalen Austauschbarkeit zum Trotz – darauf noch mindestens einen Fingerabdruck.
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Über die Digisophie-Kolumne
In der Digisophie-Kolumne zeigt Ingo Radermacher regelmäßig andere Perspektiven auf und sucht Antworten auf grundlegende Fragen in unserer vom globalen digitalen Wandel geprägten – und teils bedrängten – Welt. Passgenau, nicht selten augenzwinkernd – stets rational, informiert und auf der Höhe der Zeit. Ingo Radermacher sucht als rationaler Klardenker Erklärungen, wie Zusammenleben, verantwortliches Handeln und kluge Entscheidungen heute und zukünftig gelingen können. Im Blick: Unternehmerisches und Berufliches ebenso wie ganz Privates, Gesellschaft ebenso wie Bildung, Politisches ebenso wie Ökonomie.
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